“Meditatives Fragen ist anders – wir kommen dahin, nachdem wir die
meisten konventionellen Antworten ausgeschöpft haben. Etwas in uns
bleibt im Zweifel, ruhelos, unbefriedigt. Die Fragen selbst mögen variieren
– sie können sich mit der Natur und der Ursache von Wut, Ärger, Widerstand,
Groll, Anhaften, Angst oder Leiden beschäftigen. Oder sie mögen fundamentaler
sein wie
“Was bin ich? – Was ist die Bedeutung von Leben und Tod!”
Ist es möglich, eine Frage offen zu halten, ohne sofort Antworten zu suchen?
Es ist eine andere Art von Geisteszustand: Können wir damit anfangen,
nicht zu wissen, und ins Nicht-Wissen hineinfragen. Ich spreche nicht in
Konzepten, auch wenn das Gehirn schon ein Konzept aus dem “Nicht-Wissen”
gemacht haben mag. Nicht-Wissen bedeutet das beiseite stellen, was ich
schon weiß, und neugierig sein, um frisch und offen das zu beobachten,
was jetzt im Licht dieser Frage tatsächlich stattfindet. Nicht-Wissen bedeutet
das Unbehagen angesichts einer fehlenden sofortigen Antwort auszuhalten.
Nichts über Ärger wissen bedeutet die Energie der Bewegung beobachten,
wie sie aufsteigt, sich entfaltet und andauert. Die Essenz des meditativen
Fragens liegt nicht darin, Antworten zu erhalten, sondern geduldig zu fragen
und zu untersuchen, ohne zu wissen. Wir haben vielleicht gehört, wie
spirituelle Lehrer sagten: “Die Antwort liegt in der Frage.” Ich hörte das
früher Krishnamurti wieder und wieder sagen, aber verstand am Anfang nicht,
was er meinte. Es ist nicht zu verstehen durch gedankliches Bemühen.
Es muss sich im Fragen selbst klar offenbaren, wenn dieses offen und
unschuldig ist. Gewahrsein, ohne zu wissen.
Jemand fragte: “ist denn nicht die ‘tiefste Antwort’ auf unsere Fragen die
Tatsache des Getrenntseins? Und wenn das so ist, warum arbeiten wir dann
nicht umgekehrt – also von der Antwort zur Frage, um zu sehen, dass unsere
Probleme Ausdruck unseres Glaubens an ein getrenntes Selbst sind?
Er schien zu fragen:
“Warum klärst du das Problem des Getrenntseins nicht sofort am Anfang?”
Lasst uns zusammen diese Fragen anschauen. Tatsächlich sprechen
wir über den wahren Zustand unseres Seins – das können wir nicht vermeiden.
In Wahrheit gibt es kein Getrenntsein. Wenn das Gefühl eines “Ich” fehlt,
sind wir alle ganz – nicht einfach nur ganz, sondern das Ganze, ohne all die Angst,
die unvermeidlich mit dem Empfinden eines getrennten Ich einhergeht.
Im lebendigen Da-Sein empfinden wir keine Zeit, kein Innen oder Außen,
kein ich oder du – nur ganzheitliches Sein ohne Wände, die uns abtrennen
und entzweien.
Es ist riskant, über all das so zu sprechen, als gäbe es eine ‘Antwort’,
bevor die Frage lebendig ist. Ist zunächst einmal klar, dass bloße Worte
nicht das wirkliche Ding sind? Die beste Beschreibung ist nur eine Beschreibung,
nicht mehr. Das Gehirn ist eifrig bemüht, Dinge zu wissen, es braucht
aber direkte Einsicht, um zu sehen, dass Wissen nicht dasselbe ist wie Einsicht.
Das Denken kann nicht sehen, wie es selbst die Wahrheit verbirgt.
Denken kann nicht sehen. Jemanden sagen zu hören, dass wir grundlegend
ungeteilt sind, schafft aber auch leicht Unzufriedenheit und sogar Schuldgefühle,
wenn wir uns alles andere als ganz fühlen –
wenn wir an der Furcht und dem Schmerz des Getrenntseins leiden.
Wie hören wir also zu, wenn jemand von unserer grundlegenden Ganzheit spricht?
Vergleichen wir uns mit der Sprecherin und verzweifeln wir daran, jemals wie sie zu sein?
Leisten wir Widerstand oder lehnen wir ab, was gesagt wird, um uns zu schützen,
oder können wir einfach zuhören und staunen mit einer neuen Art von Unschuld?
Vor Jahren, als ich ein Zitat von Krishnamurti in einem Buch von Alan Watts las
und auch auf eine Sammlung von Zen-Anekdoten D.T. Suzukis stieß,
konnte ich überhaupt nicht verstehen, was sie wirklich ausdrücken wollten.
Ich konnte nicht erfassen, woher jemand kommt, der das sagt, was sie sagen.
Ich konnte es nicht verstehen, es ließ mich jedoch auch nicht mehr los.
Wenn uns Worte eigenartig bewegen, auch wenn wir sie nicht begreifen,
können wir sie einfach geduldig in unserem Herzen bewegen?
Erstaunlicherweise kommt der Moment,
wenn sie plötzlich klar werden – nicht länger als Worte,
sondern als unerschütterliche Wahrheit.”
“aus dem Buch ‘Die Kunst des meditativen Fragens’ von Toni Packer”