Uwe Schade - Die Harmonie der Welt

Uwe Schade

 

Lyrik eines Landstreichers

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Dein Schicksal überrascht Dich nicht

Denn Du bist Dein Schicksal

Deine Begegnungen wundern Dich nicht

Denn Du bist nicht getrennt von ihnen

Dein Tod schreckt Dich nicht

Denn Du bist tausendmal gestorben.

 

 

Deine Bewegungen sind die Bewegungen der Welt

Deine Verwandlungen sind die Verwandlungen der Welt

Dein Stillstehen ist nur ein Schein

Dein Sterben ist nur ein Wort.

 

 

Du meinst, Du seiest etwas Bestimmtes

Doch Du bist nur eine Welle im Weltenmeer

Du meinst, Du seiest selbstständig

Doch Du bist nur ein Treffpunkt von hunderttausend Kräften

 

 

Du meinst, Du kannst Dich lenken

Weil Du nicht siehst, was Dich zieht und treibt

Du meinst, Du müßtest etwas tun

Doch Deine Anstrengung ist nur Widerstand.

 

 

Hast Du Schmerzen, lauf nicht davon

Hast Du Hoffnungen, halt sie nicht fest

Suchst Du die Freiheit, bindet Dein Suchen Dich

Ergreifst Du das Gute, ist Dein Greifen das Böse.

 

 

Weil Du unglücklich bist, strebst Du

Weil Du Angst hast, denkst Du

Doch Dein Streben wird kein Glück

Dein Denken wird keine Ruhe.

 

 

Du suchst eine Zuflucht

Doch es gibt keinen Schutz

Du suchst einen Ausweg

Doch es gibt keine Öffnung.

 

 

In Deiner Rede reden tausend Menschen

In Deinem Gang gehen Lurche und Pferde

Aus Deinen Augen blicken Vogel und Reh

Deiner Hände Greifen ist das Greifen der Steinzeitmenschen.

 

 

Dein Fühlen ist Wahrheit

Dein Vorstellen ist Schein

Du jagst nach dem Schein

Und die Wahrheit verfolgt Dich.

 

 

Du hast Schmerz an der Welt

Und suchst Trost im Vergnügen -

Sie schnitten mit Messern durch Deine Seele

Und trösteten Dich mit Süßigkeiten.

 

 

Deine Augen machen aus tausend Strahlen eine Farbe

Deine Ohren machen aus tausend Schwingungen einen Ton

Deine Händen fühlen in tausend Bewegungen einen Körper

Dein Denken macht aus tausend Wahrnehmungen eine Idee.

 

 

Dein Wahrnehmen ist gefilterte Welt

Dein Denken ist gefilterte Wahrnehmung

Dein Streben ist gefiltertes Denken -

Was ist es, das Du da greifst?

 

 

Des kreisenden Vogels Spähen gilt nur der Beute

Des Rehes Lauschen gilt nur der Gefahr

Des Hundes Schnüffeln gilt nur den Reizen

Deiner Gedanken Umherlaufen gilt nur der Befriedigung.

 

 

Du gehst zu den Lustigen

Doch ihr Lachen ist ohne Freude

Du suchst den Reichtum

Doch er lastet auf Deiner Seele

Du suchst den Erfolg

Doch der Glanz blendet Dich

Du gehst zu den Weisen

Doch ihre Weisheiten sind Gefäße ohne Böden

Du rufst Deinen Gott

Und hörst nur Dein Echo

Du fliehst in die Stille

Doch Dein Schreien will niemand hören

Du suchst den Tod

Doch Dein Suchen ist das Leben -

Was Du suchst, erreichst Du nicht

Was Du fliehst, verläßt Dich nicht.

 

 

Ist jeder Halt zerbrochen

Fällst Du nicht um

Ist jedes Haus zerstört

Fällt Dich nichts an

Ist jeder Wunsch vergiftet

Reißt Dich nichts fort

Ist alles verloren

Kommt die Welt zu Dir.

 

 

Die Welt ist offen

Du suchst zu schließen

Die Welt ist verbunden

Du suchst zu trennen

Die Welt ist Verwandlung

Du versuchst die Form.

 

 

In Deiner Mitte fühlst Du die Welt

Mit Deinen Sinnen veränderst Du die Welt

Mit Deinem Denken fliehst Du die Welt

In Deinem Streben zerstörst Du die Welt

 

 

Du zwingst die Stoffe in Deine Form

Doch sie zerfallen

Du zwingst Deine Kinder in Deine Form

Doch sie wenden sich gegen Dich

Du zwingst die Gesellschaft in Deine Form

Doch Menschen werden das nicht

Du zwingst Dich selber in Deine Form

Und sie zerbricht Dich.

 

 

Die Strahlen der Welt durchdringen Dich

Die Schwingungen der Welt erschüttern Dich

Die Kräfte der Welt bewegen Dich -

Dein Reden von Freiheit betrügt Dich.

 

 

Du redest von Freiheit

Und Dein Motiv ist Zwang

Du redest von Sicherheit

Weil Du sie suchst

Du redest von Unabhängigkeit

Und wartest auf Beifall -

 

Du kannst nichts Böses tun

Denn Du bist die Konstellation

von hunderttausend Konstellationen.

 

 

Du hast Mut, in den Weltraum zu fliegen

Doch Du zitterst vor Gespenstern

Du beherrschst Atome und Raketen

Doch Dein Denken beherrscht sich nicht

Du ordnest das Leben von Völkern

Doch Deine Gedanken ordnen sich nicht

Du verfügst über den Tod anderer Menschen

Und weißt nicht, ob Du nicht an Dir selbst zerbrichst.

 

 

Die Mechanik Deiner Logik täuscht Dich

Lebendiges bewegt sich nicht gradlinig

Materie bewegt sich nicht beziehungslos

Kannst Du ungradlinige Bewegung verstehen

Kannst Du allseitigen Bezug sehen

Ist die Mechanik Deiner Logik zu Ende.

 

 

Du bewahrst Deine Täuschung

Und erlebst Deine Macht

Du bewahrst Illusionen -

Und fühlst Deine Ohnmacht.

 

 

Du redest von Fortschritt

Und bewegst Dich auf der Stelle

Du machst Revolutionen

Und wiederholst die Unterdrückung

Du glaubst an das Neue

Und Dein Denken orientiert sich beim Alten

Du strebst nach vorn

Und schaust nach hinten.

 

 

Dein Lebensraum erhebt sich aus dem Dunkel der Welt

Du schaust Deine Krone an

Und fühlst Deine Wurzeln

Zwischen beiden spannt sich Dein Leben -

Du hängst an dem einen

Und meidest das andere.

 

 

Willst Du in der Welt ruhen

Mußt Du den Geschmack der Welt lieben

Willst Du den Geschmack der Welt lieben

Mußt Du ihn kennenlernen

Willst Du ihn kennenlernen

Mußt Du feinfühlig werden

Willst Du feinfühlig werden

Mußt Du allen Widerstand aufgeben

Willst Du allen Widerstand aufgeben

Mußt Du auf dem Fleck sitzen bleiben

Mußt stehen bleiben, wo Du stehst -

Das Festgehaltene weicht von Dir

Das Unterdrückte gesellt sich zu Dir

Dein Ich stirbt tausend Tode

Die Welt wird in Dir geboren.

 

 

In Deinem Widersstehen spannt sich die Welt

In Deinem Streben erhebt sich die Welt

In Deinem Wirken verwandelt sich die Welt

In Deinem Sterben entspannt sich die Welt

 

In Spannung und Entspannung erklingt

Die Harmonie der Welt.

 

 

Du greifst nach Reichtum und verurteilst die Diebe

In beidem wirkt Dein Widerstand

In beidem wirkt die Spannung der Welt

Du baust Atombomben und verfluchst ihre Wirkung

In beidem wirkt Dein Widerstand

In beidem wirkt die Spannung der Welt

Du baust eine Welt und hast Angst vor Zerstörung

In beidem wirkt Dein Widerstand

In beidem wirkt die Spannung der Welt

In Dir erhebt sich ein Ich und sucht sein Heil

In beidem wirkt Widerstand und die Spannung der Welt

 

 

Das Böse ist nur ein Schein

Im Spiegel Deiner Moralen

Zerstörung ist nur ein Schein

Im Spiegel des Formens

Verlieren ist nur ein Schein

Im Spiegel Deines Ergreifens

Dein Weilen ist nur ein Schein

Im Fluss der ewigen Bewegung.

 

 

Die Arbeit Deiner Sinne ist Ergreifen und Widerstand

Drum entstehen Schönes und Häßliches

Wohlklang und Mißklang, Schmackhaftes und Schmackloses

Die Arbeit Deines Denkens ist Ergreifen und Widerstand

Drum entstehen Verstehen und Nichtverstehen.

 

 

Dein Lieben ist Nichtergreifen

Dein Sterben ist Nichtergreifen

Dein Weltoffensein ist Nichtergreifen -

Diesem gilt Deine verborgene Sehnsucht.

 

 

Deine Zellen sind permanenter Austausch

Dein Blut ist permanenter Fluss

Dein Hirn ist permanente Reaktion

Deine Idee ist der Versuch, alles anzuhalten.

 

 

Die Basis Deines Ideenturmes ist Dein Widerstand

Die Steine Deines Ideenturmes sind Deine Vorstellungen

Der Mörtel ist Dein Ergreifen

Die Spitze ist Dein ICH.

 

In Deinem Spiel erscheinen Möglichkeiten

Dein Denken erkennt diese Möglichkeiten

Dein Streben ergreift diese Möglichkeiten

Dein Leben wird abhängig von diesen Möglichkeiten.

 

 

Deine Gedanken ruhen sich aus

Wenn sie von einem Buch geführt werden

Wenn sie von einem Spiel amüsiert werden

Wenn sie von einer Aufgabe diszipliniert werden

Wenn sie in einen Traum entlassen werden

Deine Gedanken ruhen sich aus

Wenn sie von Dir nicht festgehalten werden.

 

 

Wenn das Leben an sich selber leidet

Heilt sich das Leben

Schiebt sich eine Vorstellung dazwischen

Bleibt Dein Leiden steril.

 

 

Du willst Deinen Schmerz nicht sehen

Denn Du schaust lieber die Heilmittel an

Du wagst Deine Qual nicht zu bekennen

Denn Du meinst, Du müßtest ihr Meister sein

Du wagst nicht Deinen Gott zu verfluchen

Denn Du denkst, er müßte Dein Ebenbild sein.

Du willst nicht zur Wurzel gehen

Denn dort bist Du klein.

 

 

Du sagst, Du magst dieses Essen nicht

Es ist Dein Geschmack, den Du nicht magst

Du sagst, Du magst dieses Wetter nicht

Es ist Deine Erwartung, die Du nicht magst

Du sagst, Du magst diese Gesellschaft nicht

Es ist Deine Anschauung, die Du nicht magst

Du sagst, wenn Du es wagst, Du magst diese Welt nicht

Es ist der Geschmack von Dir selber, den Du dann wahrnimmst.

 

 

Du meinst, Du kannst wie ein Kindlein bleiben

Daß Du das denkst, zeigt, daß Du es nicht bist

Du meinst, Du kannst ohne Ideen bleiben

Was Du da denkst, ist eine Idee

Du meinst, Du kannst ohne Absturz bleiben

Wenn Du das hoffst, ist er Dir nahe.

 

 

In Deinem Leibe entwickelt das Lebendige Härte

Um, zerbrechend, heimzukehren in die Verwandlung

In Deinen Ideen entwickelt das Lebendige Verirrung

Um, zerbrechend, heimzukehren in die Wahrheit

In der Menschheit entwickelt das Lebendige Brutalität

Um, zerbrechend, heimzukehren in die Schönheit.

 

 

Du mußt gewaltig irren

Um die Wahrheit tief zu erfahren

Du mußt gewaltig triumphieren

Um Deine Nichtigkeit zu erfahren -

Glaubst Du, Du kannst eines Menschen Weg abkürzen?

 

 

Du rückst die Stoffe zurecht

Und Deine Mühe nimmt kein Ende

Du rückst die Kreaturen zurecht

Und Dein Töten nimmt kein Ende

Du rückst die Welt zurecht

Und die Zerstörung kommt auf Dich zurück.

Kannst Du ein Spinnennetz nachmachen?

 

 

So, wie Du diesen Augenblick erlebst

Will das Lebendige in Dir den Augenblick erleben

So, wie die Menschheit diesen Augenblick erlebt

Will das Lebendige in der Menschheit sich erleben

.

Verdammst Du einen Gedanken in Dir

Verdammst Du eine lebende Zelle

Verfluchst Du ein Gefühl in Dir

Verfluchst Du lebendiges Blut

Verurteilst Du einen Schuldigen

Dann verurteilst Du einen Menschen

In dem Dein Gedanke Fleisch und Dein Gefühl Blut wurden.

 

Deine Häuser sperren Dich ein

Dein Wissen kettet Dich an

Deine Wünsche zerren Dich umher

Doch Leben ist Bewegung aus sich selbst

Dein Atem wird nicht von Dir gemacht

Dein Feuer wird nicht von Dir entfacht

Dein Wirken wird nicht von Dir verursacht

Denn Leben ist Bewegung aus sich selbst.

 

 

Mal zerschlägst Du den Stein

Mal erschlägt er Dich

Du siehst Deine Farbe aus dem Übrigen Grau hervorstechen

Doch unterschiedlos ist der Allzusammenhang.

 

 

Wird Lebendiges gereizt

Wächst Widerstand oder Begehren

Werden Menschen gereizt

Wächst das Ich

Ist das Ich stark

Ist die Blindheit groß

Und die Zerstörung nimmt kein Ende.

Drum mußten die, die Menschen verändern wollten

Vor ihnen fliehen

Drum wurden die Worte derer,

Die Menschen etwas Gutes verhießen

Die Quelle endloser Zerstörung -

Weil das Ich gestärkt wurde.

 

 

Hast Du etwas im Auge, sieht Dein Auge nicht klar

Hast Du Dein Denken gebunden, ist es unbeweglich

Ist Dein Ich stark

Ist Deine Orientierung schwach.

 

 

Die Gnade Deiner Krankheit ist

daß sie Dich Dein Kranksein nicht sehen läßt

So bleibt Dir großer Schmerz erspart

Der Fluch Deiner Krankheit ist

Daß die Dich Dein Kranksein nicht sehen läßt

So bleibt Dein Kranksein bewahrt.

Doch wenn Lebendiges an sich selbst leidet

Geht es aus allem heraus.

 

 

Entsteht in Deiner Mitte das Gefühl von Mangel

Bewirkt es an Deinen Rändern Ergreifen

Die Augen suchen reizvolle Bilder

Die Ohren reizvollen Klang

Der Gaumen reizvollen Geschmack

In Deinem Denken entstehen reizvolle Vorstellungen.

Bleibst Du in der Mitte

Erfüllt sie sich selbst.

 

 

Binden leibliche Freuden Dich

Wird in leiblichen Freuden Lebendiges sich entspannen

Binden Worte und Bücher Dich

Wird im Gebrauch von Worten Lebendiges sich entspannen

Binden Mystik und Glauben Dich

Wird in Mystik und Glauben Lebendiges sich entspannen

Binden hoch und niedrig Dich

Wird im Höherstreben Lebendiges sich entspannen

Will Dir jemand Deine Fesseln abnehmen

Wirst Du Dich zur Wehr setzen

Niemand ist gerne seines Erlösungsmediums beraubt.

Doch will Lebendiges sich befreien

So wird es geschehen -

Du aber kannst das Atmen Deiner Seele nicht verändern.

 

Es ist so schwer

Aus dem Schein der Macht

Hinabzusteigen in die Wahrheit der Ohnmacht

Du bist süchtig wie ein Moskito

Der für einen Tropfen Blut alles riskiert

Du bist geblendet, weil Du sagen kannst

"Es werde Licht", wenn Du den Schalter betätigst

Du eroberst die höchsten Gipfel

Doch Deine Triumphe werden durch Deine Finger rinnen

Und das Tal der Schmerzen wartet auf Dich

Denn, schau, leicht ist Dein Nichtsein zu erkennen:

 

Tag und Nacht

Aufstieg und Abstieg

Wachsen und Zerfallen sind Reaktionen

Hunger Frieren Angst sind Reaktionen

Sehen Fühlen Erkennen sind Reaktionen

Verstehen und Nichtverstehen

Sich Zuwenden und Abwenden

Sich Öffnen und Verschließen sind Reaktionen

Verschlingen und Ausscheiden

Gnade und Fluch

Verfinsterung und Erleuchtung sind Reaktionen

 

Du aber bist dieses alles.

 

 

Lebendiges erlebt den Schein der Form

In wiederkehrender Bewegung

Im Zyklus vollzieht sich Gebären

Im Zyklus vollzieht sich Ernähren

Im Zyklus erlebt es die Seligkeit des In-der-Welt-Seins

Doch nichts wiederholt sich.

Der Zwang zur Wiederkehr ist in all´ Deinem Tun -

Und leicht geraten die Kreise steril.

 

Zu wiederkehrender Bewegung

Organisiert sich die Materie

Um in Spannung zu erleben

Die eigene Bewegungsform

Das eigene Kreisen

Aus mystischer Energie.

Den Rhythmus zu wahren

Ist des Vitalen Interesse

Die Zerstörung des Rhythmus

Erlebt es als Tod -

 

Wenn der Rhythmus Deiner sterilen Kreise gestört wird

Zerbrechen sie

Und Du erfährst die Gnade des Sterbens.

 

 

Als Störung wirkt das Neue

In den Kreisen Deiner Gedanken

Als Störung wirkt das Neue

Auf die Richtung Deines Gehens

Als Störung wirkt das Neue

In das Verhängnis Deines Strebens -

Die Welt holt das Verirrende zurück.

Du aber kannst das Tor zur Freiheit nicht sehen.

 

 

Einst sahest Du ein Land von namenloser Schönheit

Hast Du das vergessen?

Einst kam Dein Tun aus der Quelle der Unschuld

Hast Du das vergessen?

Einst war in Deinem Fühlen die ganze Welt

Hast Du sie weggeschmissen?

 

Es ist alles noch in Dir.

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